Seitdem Russland verkündet hat, die Bezahlung für die russischen Erdgaslieferungen nur noch in Rubel zu akzeptieren, wurde seitens des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas nach Art. 11 der EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung ausgerufen. Spätestens seit dem wird intensiv darüber nachgedacht, wie Erdgas eingespart werden kann, wie stark die Auswirkungen eines russischen Erdgasembargos sind oder wie die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann.
Ein EU-Embargo gegen russische Kohle ist beschlossen, ein Erdölembargo könnte demnächst folgen. Die Gaslieferungen Russlands an Polen und Bulgarien sind gestoppt (RND 2022) und der Lieferstopp könnte seitens Putin auf weitere Länder ausgedehnt werden. Umgekehrt wird auch ein Boykott von russischem Gas seitens der EU oder Deutschland diskutiert. Die Abhängigkeit Deutschlands insbesondere von russischem Gas ist hoch. Von den jährlich verbrauchten rund 900-1000 TWh Gas stammen aktuell ca. 35-% (BMWK, 1.5.2022) also etwa 350-450 TWh im Jahr (ca. 35 Mrd. m3) aus Russland. 2021 waren es etwa 46 Mrd. m3 aus Russland (Euractiv 2022) bei einem Gesamtverbrauch in Deutschland von etwa 95 Mrd. m3 pro Jahr (BMWK 2022).
Die Entwicklungen der Gasimporte aus Russland gehen inzwischen stark zurück (vgl. McWilliams, B., G. Sgaravatti, G. Zachmann 2021).
Die starke Abhängigkeit von Energie und Rohstoffimporten spült viel Geld nach Russland. Im Zeitraum vom 24. Februar (Kriegsbeginn) bis zum 24.4.2022 hat Russland 63 Milliarden Euro für fossile Energieimporte (Kohle, Öl und Gas) eingenommen. Deutschland ist dabei mit 9,1 Milliarden Euro der weltweit größte Einkäufer (Centre for Research on Energy and Clean Air, CREA).
Allein für das Gas sind es bei einem angenommenen Preis von durchschnittlich 53,25 Euro pro MWh (Grenzübergangspreis) jährlich rund 20 Mrd Euro. Zum Vergleich: der jährliche Rüstungsetat Russlands liegt bei 62,4 Mrd Euro (BDEW 2021, Sonntagsblatt 2022). Die eingestellten Gaslieferungen Putins an Polen und Bulgarien zeigen, dass auch ein einseitiger Lieferstopp Russlands gegenüber Deutschland oder der ganzen EU nicht mehr ausgeschlossen werden kann.
Ganz unabhängig vom Ukraine Konflikt hätte die Bundesregierung bereits in den vergangenen Jahrzehnten vieles tun können und müssen, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und Rohstoffen aus einem Land wie Russland zu mindern (Resilienz). China definiert beispielsweise Resilienz so, dass kein Rohstoff zu einem Anteil von mehr als 15% aus einem Land importiert werden darf.
Wie wahrscheinlich ist ein Gasembargo seitens Deutschland?
Viele der Erdgasverträge mit Russland sind so ausgestaltet, dass bis zu 80% der vereinbarten Kosten gezahlt werden muss, selbst wenn kein Gas abgenommen wird (Take-or-Pay-Klauseln, TAZ 7.4.2022, ZDF 26.4.2022, OIES 2022). Nach Angaben des Oxford Institute for Energy Studies (OIES) lag die Mindestabnahmemenge für russisches Gas in Deutschland bei 42 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2021. Rechtlich würde nur ein Gasembargo seitens Deutschland oder ein Lieferstopp Russlands die Zahlungsverpflichtungen aus den langfristigen Lieferverträgen aufheben. Es könnte also passieren, dass Deutschand einerseits teures LNG Gas einkauft, um russisches Erdgas einzusparen, für das dennoch gezahlt werden müsste.
Unter diesem (Ein)druck bemüht sich die Bundesregierung, allen voran Wirtschaftsminister Habeck, darum, Alternativen zum russischen Gas auszumachen. Neben dem am 17.5.2022 veröffentlichten Arbeitsplan Energieeffizienz und der – nur begrenzt möglichen – Erhöhung der Lieferungen aus den Niederlanden und Norwegen möchte Habeck in Zukunft LNG-Gas (Liquified Natural Gas) aus Katar und den USA importieren. Die ökologischen Konsequenzen: Mit der Verflüssigung, Transport und Gasifizierung gehen große Verluste einher, was die Ökobilanz von LNG-Gas stark beeinträchtigt (UBA 2019). Darüber hinaus wenden die USA das sogenannte Fracking-Verfahren an, bei dem Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in den Boden gepresst werden, um das Schiefergas aus den Gesteinsformationen zu lösen, was verheerende Folgen für die Umwelt hat (Umweltinstitut München). Bei Katar stellt sich ähnlich wie im Falle Russlands die Frage, was mit dem Geld finanziert wird. Schon lange steht der Golf-Staat in der Kritik, Menschen- und Arbeitsrechte zu verletzen, und auch beim inzwischen 7 Jahre lang andauernden Jemen-Konflikt, der laut UN bislang 230.000 Opfer gefordert hat, spielt Katar eine zweifelhafte Rolle (Amnesty 2022, UN 2020, Spiegel 2021).
Andere europäische Länder haben es schon geschafft, sich von den russischen Lieferungen unabhängig zu machen. Litauen hat durch einen schwimmenden LNG-Terminal eine Alternative zu den pipeline-gebundenen Lieferungen gefunden (Tagesschau 2022). Auch in Deutschland gibt es die Absicht schwimmende LNG-Terminals einzusetzen, jedoch ist der Bedarf verglichen mit Litauen hierzulande deutlich höher und eine komplette Unabhängigkeit auf diese Weise kaum realisierbar (Handelsblatt 2022).
Am 30.03.2022 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die erste von drei Warnstufen (Frühwarnstufe) bzgl. der Gasversorgung ausgerufen (Spiegel 2022b) und die Bundesnetzagentur veröffentlicht seitdem einen täglichen Lagebericht.
Damit verbunden ist der Aufruf an die Unternehmen und Haushalte den Gasverbrauch wo möglich zu senken. Erst bei Warnstufe 3 (offizieller Name “Notfallstufe”) sind staatliche Eingriffe vorgesehen, um den lebenswichtigen Bedarf geschützter Kundengruppen zu gewährleisten (BMWi 2019). Laut Gesetz sind darunter allen voran die Haushalte zu verstehen. Die Diskussionen und Abwägungen um die Frage, wer im Fall einer Unterdeckung mit wie viel versorgt wird, ist auch in der zuständigen Behörde, also der Bundesnetzagentur (BNetzA), in vollem Gange. Um sich auf genau dieses Rationierungsszenario vorzubereiten, hat die BNetzA vor drei Wochen eine breitangelegte Umfrage gestartet, um von den Gasabnehmenden zu erfahren, welche Menge an Gas für welchen Einsatzzweck unerlässlich ist (Manager Magazin 2022). Bislang möchte die BNetzA keine Liste mit Abschaltreihenfolge erstellen geschweige denn veröffentlichen. Es heißt, es müsse immer eine Einzelfallentscheidung getroffen werden. Die demokratische Legitimierung dieser Vorgehensweise darf angezweifelt werden, da noch nicht einmal die Kriterien offengelegt werden, nach denen eine Zuteilung erfolgen soll. Der Chef der BNetzA Klaus Müller schlägt nun vor, bei einer Verknappung des Gasangabots Versteigerung von Gasverbrauchsrechten vor (Spiegel, 1.5.2022). Damit ließe sich herausfinden, wie wichtig den Unternehmen das Gas tatsächlich ist. „Der Markt weiß besser als der Staat, wo sich Energie am effizientesten einsparen lässt“ so Müller im Spiegel. Ob das gesellschaftlich sinnvoll ist, dass die Unternehmen mit dem meisten Geld bestimmen wofür Erdgas eingesetzt wird und wofür nicht, darf ebenfalls einer öffentlichen Diskussion.
Was können wir tun um Erdgas einzusparen?
Statt viel Aufwand für die Sicherung von alternativen Bezugsquellen zu betreiben und den Markt entscheiden zu lassen, wer das teure Gut Erdgas einsetzen darf, sollte sich nicht nur die Regierung vor allem darum bemühen, die Abhängigkeit von russischem Gas durch Effizienz- und – noch wichtiger – Suffizienzmaßnahmen zu reduzieren. Ein großer Hebel liegt bei der Heizenergie der Haushalte. Eine Absenkung der durchschnittlichen Raumtemperatur um 2°C würde ca. 12,5% einsparen, was etwa 35 TWh entspricht (deutschland-machts-effizient.de).
Dass man vor einer großen Aufgabe steht und viele, auch „kleinere“ Einsparmöglichkeiten angehen müsste, sieht man auch an folgendem Beispiel: Würde man ab sofort alle Weinflaschen – das sind in Deutschland geschätzt immerhin 2,1 Mrd. Flaschen pro Jahr – auf ein Mehrwegsystem umstellen, würde man von den 400 TWh Erdgas schätzungsweise bereits etwa 1,5 TWh einsparen.
Die Grundstoffchemie ist ein weiterer Wirtschaftszweig mit einem hohen Einsparpotenzial. So ist allein die Ammoniaksynthese für den Verbrauch von 2,24 Mrd m3 Gas (entspricht 23,63 TWh) verantwortlich. Der benötigte Wasserstoff für das Haber-Bosch-Verfahren wird aus Erdgas durch Dampfreformierung gewonnen. In der Theorie kann das Erdgas also durch grünen Wasserstoff ersetzt werden. Aktuell ist dieser in der Praxis aber nicht verfügbar. Die Reduzierung kann hier auf kurze Frist also nur durch eine starke Drosselung der Produktion erreicht werden. Da 2/3 des hierzulande produzierten Kunstdüngers auf Ammoniakbasis exportiert werden, wäre es denkbar, die Produktion um 2/3 zu reduzieren, was zu einer Einsparung von 15,75 TWh führen würde.
Der Fall in der Automobilindustrie ist ähnlich gelagert. Von den 2020 in Deutschland 3,5 Mio gefertigten Fahrzeugen waren 38% für den Export bestimmt. Reduziert man die Produktion um diesen Anteil und am einen kalkulatorischen Anteil von 12%, da im Zuge der Verkehrswende weniger Autos benötigt werden, also insgesamt um 50%, würden allein durch die Einsparungen in der Stahlproduktion (26% der gesamten Stahlproduktion fließt in den Automobilsektor) 2,7 TWh wegfallen (VDA 2021, BGR 2020).
Welche weiteren Einsparungen im Sinne der Ökologie, der Beschäftigung und der Sicherung der Primärbedürfnisse möglich sind, werden wir in den nächsten Wochen weiterhin untersuchen und die Ergebnisse der Analyse an dieser Stelle verfügbar machen. Eine Studie vom DIW geht davon aus, dass die Unabhängigkeit von russischem Gas bis Ende 2022 auch ohne zusätzliche LNG-Terminals realisierbar ist. Zu kritisieren ist, dass die Autor*innen in ihrem Model Gas zu großen Teilen durch Öl, Köhle und Biomasse substituieren und Effizienz und Suffizienz eine untergeordnete Rolle spielt (Sogalla 2022).
Versorgung über LNG-Terminals
Um Erdgas über große Entfernungen per Schiff transportieren zu können, muss es heruntergekühlt (-160° Celsius) und in flüssige Form (LNG) komprimiert werden. Dieser Prozess kostet Energie und erfordert Terminals für die Verflüssigung und Wiederverdampfung von Gas, deren Bau normalerweise etwa fünf Jahre dauert.
Sind LNG Terminals für die Anlandung von Wasserstoff geeignet?
Ein LNG Terminals sind für die Anlandung flüssigen Wasserstoffs ungeeignet und ohnehin der Transport per Schiff technisch aufwendig. Zur Decarbonisierung könnte man grün erzeugten Wasserstoff in Form von Ammoniak transportieren und am Terminal für die Pipeline wieder in Wasserstoff zu verwandeln. Um ein LNG Terminal später als Ammoniak-Terminal verwenden zu können ist mit etwa 10-12 % Mehrkosten zu rechnen.
Wieviel LNG-Terminals gibt es in Europa und wieviel sind im Bau?
Neben einer Reihe von kleinen Anlagen, gibt es in Europa derzeit 25 LNG-Terminals (ausgenommen Russland und Türkei) mit für die Energieversorgung relevanten Kapazitäten in Höhe von insgesamt 208 Mrd. m3/a (GIE 2022). Neun weitere sind im Bau mit einer jährlichen Kapazität von etwa 29 Mrd. m3/a. Drei davon sollen noch dieses Jahr in Betrieb gehen, eines im nächsten Jahr, zwei 2024, eines 2025, eines 2026. Deutschland hat bislang noch keines. Hinzu kommen etwa 20 in Planung, davon vier an drei Standorten in Deutschland (Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Stade).
Eigentlich würde die Anzahl der bestehenden und im Bau befindlichen Terminals für die Menge, die Europa insgesamt per Schiff aus dem Ausland an LNG beziehen könnte (ca. 100 Mrd. Kubikmeter), um in Europa bis 2025 vollständig unabhängig von russischem Gas (bislang etwa 152 Milliarden Kubikmeter) werden zu können, die Anzahl der bestehenden und im Bau befindlichen Terminals ausreichen, so einige Experten, sofern der Erdgasbedarf gemäß dem EU-Klimaplan „Fit for 55“ von bisher 520 (2019) bis zum Jahr 2025 auf 403 Milliarden Kubikmeter sinken würde (Artelys 2022).
Geplante LNG Terminals in Deutschland
Bundeskanzler Scholz legte sich in seiner Regierungserklärung auf die beiden Standorte Brunsbüttel und Wilhelmshaven bereits fest. Beide Terminals sollen so gebaut werden, dass sie auch bereit sind für die Anlandung von Wasserstoff bzw. Ammoniak und synthetisches Methan. In Wilhelmshaven sollen außerdem Elektrolyseanlagen zur Wasserstoffproduktion aus Ökostrom mit 1,1 Gigawatt Leistung gebaut werden.
Dadurch, dass jetzt zukünftig mehr Erdgas durch Leitungen und Schiffe aus Westen kommen sollen, werden weniger Leitungen im Westen frei sein, die man frühzeitig als Wasserstoffleitungen umbauen kann. Der Ausbau von parallelen Wasserstoffleitungen wird damit voraussichtlich notwendig und die Wasserstoffinfrastruktur kostenintensiver.
Wilhelmshafen auch als CCS Standort?
Das Terminal in Wilhelmshaven soll auch für die Abscheidung und geologische Speicherung (CCS) von Kohlendioxid (CO2) ausgebaut werden. Das Kohlendioxid fällt z.B. an, wenn synthetisches Methan im Gaskraftwerk verbrannt werden. Wilhelmshaven könnte damit Ausgangspunkt werden für ein bundesweites CO2-Pipeline-Netz mit mehr als 1000 Kilometern Länge, wie der Ferngasnetzbetreiber OGE und die Projektgesellschaft Tree Energy Solutions (TES) ankündigten (OGE 2022). Das CO2 soll von da aus in ausgediente Erdgasfeldern unter der Nordsee verpresst werden. Hierzu gibt es jedoch bislang keinen gesetzlichen Rahmen. Der dritte Küstenort Stade wird als Standort für ein schwimmendes LNG-Terminal genannt.
Schwimmende LNG Terminals
Das sind Spezialschiffe, die LNG anlanden und regasifizieren können. Während für Terminals an Land strenge Bauvorschriften gelten, ist für schwimmende Terminals lediglich ein Tiefwasserhafen erforderlich, in dem sehr große Schiffe anlegen können. Insgesamt gibt es weltweit 33 dieser Spezialschiffe. Das erste schwimmende LNG-Terminal in Deutschland soll noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden, die restlichen Terminals sollen bis Mitte 2024 folgen. Im kommenden Winter soll Deutschland so 7,5 Milliarden Kubikmeter LNG und bis zum Sommer 2024 27 Milliarden Kubikmeter LNG in das Gasnetz einspeisen können.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck hofft dass noch in diesem Jahr zwei der geplanten LNG Terminals in Betrieb gehen können (Handelsblatt, 3.5.2022).
Welche Produkte brauchen wir und wo werden sie am effizientesten produziert?
Bevor man Investitionen in eine LNG und Wasserstoffinfrastruktur tätigt, sollte eine gesellschaftliche Diskussion darüber geführt werden, welche Produkte wir zukünftig in welcher Menge wollen und brauchen, wieviel wir davon in Deutschland/Europa effizienter selbst produzieren können und welche Produkte wir ggf. besser importieren, da sie ggf. anderswo effizienter und emissionsärmer produziert werden können.
Beitrag von Philipp George und Jörg Lange, beide CO2 Abgabe e.V.